Dieser Artikel ist ursprünglich auf der Plattform nova – Lebensraum Sensibilität erschienen.
Für mich wirft die Veränderung in der Welt viele Fragen auf. Viele Fragen auf die ich Antworten suche.
– Welche Ansätze sind wirklich nachhaltig?
– Was kann ich heute schon in meinem persönlichen Einflussbereich verändern?
– Welcher Wandel muss auf unserer Bewusststeinsebene erfolgen, um ein neues Lebensmodell möglich zu machen?
In Tamera, einem Friedensforschungs- und ausbildungszentrum im Süden Portugals scheint es Antworten auf meine Fragen zu geben.
Kaum habe ich das festgestellt, packt mich ein unbändiger Wunsch diesen Ort zu besuchen. Spontan erkundige ich mich über meine Tante, die dort schon gelebt hat, ob ein Aufenthalt möglich ist (ich besuche dort einen Freund um mit ihm im Garten zu arbeiten) und buche einen Flug für die nächste Woche.
Ganz aufgeregt und kribbelig fühlt es sich an in meiner Magengrube. Noch kann ich es nicht ganz glauben. ICH fahre SPONTAN in eine alternative Kommune nach Portugal! Ach du liebe Zeit. Forschung, Natur, freie Liebe und Gemeinschaft gibt es dort. Bisher bin ich sehr gerne alleine. Trotzdem kann ich es kaum erwarten dort zu sein.
Ich komme an einem Sonntagmorgen in Tamera an und starte meinen Aufenthalt mit dem Besuch der „Matinee“ zu der ich schon im Vorfeld per Mail eingeladen wurde. Danach habe ich verschiedene Unterkünfte zur Auswahl. Ein Gemeinschaftszelt, ein Einzelzelt oder ein Zimmer im Gästehaus. Ich liebe Zelten, da es aber wesentlich kühler ist, als ich beim Packen dachte, entscheide ich mich fürs Gästehaus. Ein schönes halbrundes Gebäude am See mit einem freundlichen Garten und einem idyllischen Innenhof.
Es findet sich ein sehr netter Mann, der schon einige Wochen in Tamera verbracht hat, und mir den Weg dorthin und auch das restliche Gelände zeigt.
Humor statt Dogmen
Es gibt Siedlungen in denen ausschließlich die ortsansässigen Tameraner wohnen und einen Gästebereich in dem dann alle zusammenkommen können. Ein Schild am See weist die Einheimischen darauf hin, während der Gästesaison nicht übers Wasser zu laufen. Man scheint hier durchaus Humor zu haben. Eine Eigenschaft, nach der ich in anderen spirituell orientierten Gemeinschaften bisher vergebens gesucht habe. Auch habe ich den Eindruck, dass man in diesem Zentrum auf der Suche nach echten Alternativen für echte und individuelle Menschen ist. Man versucht Missstände nicht durch neue Regeln und Dogmen zu lösen sondern durch freie Denkansätze und eine hohe Eigenverantwortlichkeit. Das gefällt mir.
Gelebte Achtsamkeit
Auch wenn ich nur wenige Tage hier verbringe, kann ich doch einen schönen Einblick gewinnen. Es gibt viele Rituale und viel Gemeinschaft hier in Tamera. Montagmorgens bei Sonnenaufgang treffen wir uns zur Meditation im Steinkreis. Tagsüber verbringt jeder seine Zeit im jeweiligen „Forschungsbereich“. Man ist beschäftigt, aber niemals gehetzt. Es ist viel Input aber auf angenehme und leichte Art. Ich unterhalte mich mit einem Deutschen der seit Jahren in Tamera lebt und der früher selbstständig war. Auch er empfindet vor allem diese produktive Geschwindigkeit bei der die Dinge einfach in Fluss sein können als sehr angenehm.
Abends nach dem Essen gibt es verschiedene Entertainmentprogramme. So hat man beispielsweise die Möglichkeit, in Vorträgen von den Geschichten und Erfahrungen führender Persönlichkeiten der Gemeinschaft zu lernen oder gemeinsam Dokumentarfilme zu schauen. Ein sehr schönes Highlight ist für mich ein Konzert in der Bar. Hier schaffen es ein israelischer Gast und ein Tameraner, der heute noch sehr authentisch nach 68er-Bewegung aussieht, mit Gitarre, Querflöte und Gesang eine ganz besondere Atmosphäre zu erzeugen. Aufbruchstimmung, Liebe und Kraft sind regelrecht greifbar. Es werden keine Gespräche nebenbei geführt. Volle Konzentration auf den Moment und auf die Person die gerade etwas zu sagen hat.
Denn in Tamera gibt es eine ganze Menge interessanter Menschen die eine ganze Menge interessanter Dinge zu sagen haben. Ich begegne Friedensarbeitern aus Israel, Farmern aus Kanada, Weltreisenden aus Deutschland, Geschäftsmännern aus der Schweiz und digitalen Nomaden aus Schweden. Alle sind auf dem Weg. Alle haben ihr ganz eigenes Projekt, ihren ganz eigenen Plan für eine positive Zukunft. Jeder auf seine ganz eigene Weise im Großen und im Kleinen, laut oder leise. Und genau wie ich arbeiten sie daran und sind hier um etwas dazuzulernen. Hier sind sehr viele Macher, und das gefällt mir.
Ehrliche Wertschätzung
Ich pflanze Kartoffeln, Karotten und Kürbisse mit Menschen aus der ganzen Welt. Rina aus Israel schaut mich dabei an und sagt: „You look like you feel at home.“ Und ja, das tue ich. Ich fühle mich wirklich zu Hause hier. Die freie Natur, die Wertschätzung allen Dingen gegenüber und die Akzeptanz für jeden einzelnen weckt in mir ein tiefes Gefühl von Daheim.
Das Essen ist ausschließlich vegan, regional, mit Solarstrom gekocht, und unheimlich lecker. Das Küchenteam stellen sich und das Essen vor, während alle Gäste einen Kreis um sie bilden und sich bedanken. Hier gibt es kein Buffet, sondern Schüsseln für mehrere Personen. Jede Mahlzeit wird mit neuen spannenden Menschen bei neuen spannenden Themen und Gesprächen eingenommen. Hier wird für mich wieder sehr stark diese außergewöhnliche und vor allem auch ehrlich gemeinte Wertschätzung für den einzelnen deutlich, die mir in der „normalen“ Welt so oft fehlt. Hier braucht man keine Kommunikationsregeln oder Leitfäden. Auf einer viel tieferen Ebene funktioniert das ganz von selbst. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich wirklich motiviert, meine Englischkenntnisse zu verbessern. Ich bin unendlich dankbar für die zahlreichen Begegnungen, die mich auf ganz tiefer Ebene berühren und inspirieren.
Zwei Welten kommen zusammen
Für mich waren die Tage in Portugal eine wahrhaft bewusststeinsverändernde Reise. Tamera im Süden Portugals ist für mich wirklich eine „andere“ Welt. Eine Welt, die ich gerne ein Stückchen zu meiner „normalen“ Welt mache. Die persönliche Erfahrung des Gemeinschaftslebens und das Lesen der Bücher von Dieter Duhm haben für mich viel verändert. Und das auf eine sehr nachhaltige und bewusste Weise. Ich denke, ich werde wieder kommen an diesen Ort, an dem ich mich irgendwie zu Hause fühle.